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Magazin: Manga-Spezial

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Manga-Spezial:

5. Die "Sprache" des Anime

Aufgrund der kulturellen Unterschiede zwischen dem Westen und Japan, ist es für uns als Europäer schwer, Anime richtig zu verstehen. Oft entgehen uns optische Hinweise, die für Japaner geradezu offensichtlich sind. Wir sind distanzierte Betrachter einer Kunstform, die sehr stark mit den geläufigen Ikonographien ihrer Umwelt spielt, sie verarbeitet und neu kombiniert. Mißverständnisse treten meist schon beim ersten Ansehen von Anime auf.

Antonia Levi hebt hervor, daß der westliche Betrachter Anime oft als theaterhaft empfindet. Im Gegensatz zur westlichen Zeichentradition, verläßt sich die japanische sehr stark auf die Vorstellungskraft des Lesers. Hintergründe werden nur wenig ausgestaltet, Bewegungen erscheinen zum Teil hölzern. Das hat zwar viel mit den engen Vorgaben der Animezeichner zu tun, was Produktionszeit und Budget angeht, aber auch mit der japanischen Kultur.

In Japan gibt es schon seit Jahrhunderten Theaterformen wie das kabuki, noh [1] oder bunraku [2] , die sehr stark mit Symbolismus und Abstraktion arbeiten. Brecht hat in der Mitte unseres Jahrhunderts das Prinzip des V-Effekts [3] formuliert: Dadurch, daß dem Zuschauer klar wird, daß das Bühnengeschehen nicht real ist, kann er die Handlung objektiver beurteilen. Dieses Prinzip formte er nach dem Vorbild der fernöstlichen Bühnenkultur. Genau darauf beziehen sich auch die Zeichner in Japan. Dies geschieht sowohl bewußt als auch unbewußt, da sie mit diesem Prinzip schon von klein auf immer wieder konfrontiert werden, sei es im Theater oder im Alltagsleben, wo ein einfacher Stein im Kiesbett stellvertretend steht für eine Insel im schier endlosen Ozean. Generell läßt sich sogar sagen, daß im Land der aufgehenden Sonne der Glaube vorherrscht, das ein abstraktes Symbol viel besser die Essenz der Dinge darstellen kann als ein möglichst detailgetreues Abbild.

Es ist also nur zu natürlich, daß den Menschen aus dem westlichen Kulturraum auch andere wichtige Interpretationsfehler unterlaufen, oder daß sie sogar offensichtliche Hinweise übersehen. Dem otaku [4] hat Gilles Portras 1999 mit seinem Buch The Anime Companion eine kleine Hilfe an die Hand gegeben. Es ermöglicht ohne größere Suche in Bibliotheken einiges über die kleinen kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Hintergründe der verschiedenen Animes zu erfahren. In Stichworten wird japanische Geschichte ebenso behandelt, wie Begriffe des Alltagslebens oder Ortsnamen. Die genaue Auflistung aller möglichen kulturellen Mißverständnisse, würde allein schon den Rahmen, deswegen widmet sich dieses Kapitel nur einigen exemplarischen Beispielen.

In unserem ameroeuropäischen Kulturraum werden Bösewichte oder zwielichtige Gestalten gerne mit dunkler Haarfarbe dargestellt, zugleich gelten dunkelhaarige Menschen oft als sehr temperamentvoll. Sie repräsentieren die Fremdartigkeit. Diese Ikonographie trifft keineswegs auf Japan zu. In einem Land, in dem die Bevölkerung fast ausschließlich schwarzhaarig ist, scheint es nur völlig logisch, daß die Haarfarbe schwarz eher positive Assoziationen hervorruft. Schwarze Haare symbolisieren dort Normalität, Integrität und Vertrauenswürdigkeit. Helle oder bunte Haare dagegen stehen für die Fremdartigkeit oder das Anderssein. Das muß nicht notwendigerweise heißen, das jede Figur mit einer anderen Haarfarbe schlecht ist, deutet aber in jedem Fall deren Andersartigkeit an. So ist zum Beispiel Ranmas burschikose Freundin in Ranma ½ [5] , die sich so rebellisch gibt, schwarzhaarig - was daraufhin weist, daß in ihrer rebellischen Schale ein sehr bodenständiges Herz schlägt. Ein westlicher otaku ohne Kenntnis der japanischen Denkweise wird diese Hinweise wohl übersehen.

Ähnlich liegt es mit der religiösen Symbolik. Japan ist ein Land, das geprägt ist von Schintoismus [6] und Buddhismus [7] . Wichtig ist, hier anzumerken, daß Schintoismus und Buddhismus nicht konkurrieren, sondern für verschiedene Aspekte des Lebens stehen. Schinto ist eine laute, fröhliche hinduistisch geprägte Glaubensform und wird in Japan mit dem Leben assoziiert. Buddhismus dagegen steht in Japan eher für den Tod. "They are born shinto, they marry shinto(...)" [8] aber "When Japanese die, they die Buddhist" [9] schreibt Levi. Dies hat wohl damit zu tun, daß Shinto sehr viel mit Sauberkeit und Reinheit zu tun hat. Der Tod paßt einfach nicht zu diesen Dingen. Zudem sind die buddhistischen Klöster oft beklemmende Orte und um sie ranken sich oft Spukgeschichten. Die enge Verknüpfung von Buddhismus mit dem Tod ist allerdings eine rein japanische Eigenheit, die zudem auch noch mit dem in Japan vorherrschendem Zen-Buddhismus [10] zu tun hat. Ohne Hintergrundwissen über Shinto und Buddhismus entgehen dem Zuschauer oft wichtige optische Hinweise. So sitzt zum Beispiel Miyu, Hauptperson der Serie Vampire Mistress Miyu [11] zu Beginn der ersten Episode in einem torii, dem Eingang eines shintoistischen Tempels. So erfährt man, daß Miyu, eigentlich eine Kreatur der Nacht, gleichzeitig noch mehr ist. Bei diesem optischen Hinweis ist es natürlich auch wichtig, zwischen einem shintoistischen Tempel (mit einem torii-Tor) und einem buddhistischen (im chinesischem Pagodenstil) unterscheiden zu können. Auch kultische Gewänder können eine Rolle spielen und schon Hinweise auf die zu erwartenden Ereignisse geben. So trägt Miyabe in The Crystal Triangle [12] die Regalia einer miko [13] , einer Shinto Priesterin, die mit Exorzismus assoziiert wird. Oft werden gerade auch buddhistische Mönche zu den Trägern des Bösen, sind besessen oder verwandeln sich in Monster.

Auch bei anderen Religionen liegt man oft falsch. So tendieren wir, aufgewachsen in einer christlich geprägten Gesellschaft, dazu, Symbole dieser Religion mit dem Guten zu verbinden. In Judge [14] zum Beispiel tritt ein Verteidiger auf, dessen Hauptquartier eine christliche Kirche ist und der sich so oft als irgend möglich bekreuzigt. Das ist aber kein Beweis für seine Aufrichtigkeit, eher im Gegenteil. Christliche Symbolik ist in Japan oft mit dem Geschmack des Okkulten behaftet. Durch sein Verhalten wird deswegen eher verdeutlicht, daß er wohl ein etwas zwielichtiger Geselle ist. Sehr oft finden finale Auseinandersetzungen in Kirchen statt, ja scheinen diese Bauten sogar das Böse eher anzuziehen als abzuschrecken. Diese negative Konnotation erhielt das Christentum bereits in der Zeit der Missionierung, die wie in vielen Teilen der Welt hauptsächlich mit Unterdrückung und Ausbeutung einherging. Aber auch andere Symbole, wie um Beispiel das Pentagramm [15] oder der Menora [16] sind eindeutig okkulte Symbole. So bedienen sich in Doomed Megalopolis [17] sowohl die gute als auch die schlechte Seite des magischem Symbols des Pentagramms.

Auch die Jahreszeiten spielten in Japan immer schon eine große Rolle. Am Anfang eines Anime steht deshalb oft eine kurze jahreszeitliche Betrachtung und sei es nur in einigen stimmungsvollen Standbildern. Obwohl die Jahreszeiten sich in Japan natürlich nicht von denen im Westen unterscheiden, fehlt uns oft der kulturelle Zugang zu bestimmten Symbolen, die mit dem Wechsel von Jahreszeit zu Jahreszeit verbunden sind. Im vierten und letzten Kapitel von Doomed Megalopolis fallen gerade die Kirschblüten, als Keiko zum finalen Kampf aufbricht. Offensichtlich befinden wir uns im Frühling. Man mag sogar zu dem Schluß kommen, daß sie bald ihre Jungfräulichkeit verliert, was dann auch tatsächlich passiert. Die Interpretation, Keiko habe eine Zeit der Hoffnung und Erneuerung vor sich, ist jedoch falsch. Im Gegenteil, fallende Kirschblüten symbolisieren in Japan den Tod. Aber nicht nur das, sie stehen vor allem für einen heroischen Tod. Der Samurai der für seinen Herren stirbt, oder seppukku [18] begeht, wird in der Literatur genauso gerne mit den fallenden Kirschblüten verglichen wie die Kamikazepiloten [19] des Zweiten Weltkriegs. So wie sie opfert Keiko ihr Leben für eine größere Sache, ihr Leben für die Leben aller Einwohner Tokios.

Selbst gleiche Feiertage haben andere Bedeutungen in Japan als bei uns. Im Zuge der Verwestlichung der japanischen Gesellschaft, haben auch unsere Feiertage Eingang in den japanischen Kalender gefunden. Obwohl sie den selben Namen wie bei uns haben, ist ihre Bedeutung von unseren eigenen Assoziationen oft jedoch weit entfernt. Der Valentinstag ist im Gegensatz zu Amerika und Europa ausschließlich der Tag der Frauen. An diesem Tag lassen sie ihrem Herzbuben Pralinen zukommen. Den nächsten Schritt erwartet frau dann von ihm. Auch Weihnachten ist heutzutage sehr populär und der Weihnachtsmann und Weihnachtslieder beherrschen im Dezember das Straßenbild in Japan. Es ist aber nicht das Fest der Familie, das ist für die Japaner das Neujahrsfest. Tatsächlich ist es der Tag der Verliebten. Akzeptiert eine junge Dame die Einladung eines Verehrers an Heilig Abend, so wird das als Zeichen von seriösem Interesse angesehen. Der Austausch von Geschenken an diesem Abend hat einen sehr romantischen Charakter. Gerne nutzt man diesen Abend in Japan auch um die Frage der Fragen zu stellen.

Gerne werden aber auch relativ offensichtliche Andeutungen übersehen. Während für uns ein altes, einsames Haus auf einer Anhöhe oder einem Kliff (Psycho [20] ) die Assoziation von Spuk und Horror weckt, ruft ein der Anblick eines alten, heruntergekommen Hauses oder eines uralten Friedhofs inmitten einer modernen Großstadt bei den Japanern die selben Assoziationen wach. Wie etwa im Vorspann zu Doomed Megalopolis, der auf dem uralten, völlig zugewucherten Friedhof des Schutzheiligen Tokios beginnt, tief unten, eingekeilt zwischen den modernen Hochhäusern der Stadt Tokio.Begriffsklärung Manga vor 1945 Animation vor 1945 Nach 1945 Osamu Tezuka Themen

[1] Theaterform, die im 14. Jahrhundert entstand mit rein männlichem Ensemble. Geprägt durch sparsame Gestik und gemessene Bewegungen. Illustration der Erzählung eines Rezitators, unterlegt mit Musik.
[2] Puppenspiel mit 1,2 Meter großen Handpuppen, bei der drei Spieler eine Puppe zusammen bewegen
[3] Die Verfremdung der dramatischen Handlung durch argumentierende Kommentierung der szenischen Aktion durch einen Erzähler, Heraustreten des Schauspielers aus seiner Rolle, eingeschobene Lieder und Songs, Spruchbänder usw. (c) Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, 1999
[4] Anime-Fan; eine Bedeutung im Japanischen kommt dem deutschen Gebrauch des Wortes "Freak" nahe
[5] TV-Serie (1989-92) von Rumiko Takahashi, 143 Folgen, auch Kinofilme und OVAs
[6] Wörtlich "Weg der Götter", Japans Ur-Religion, eine Mischung aus Seelenkult, Ahnenverehrung und Schöpfungsmythen mit zahllosen Gottheiten
[7] Auf den Religionsstifter Buddha zurüchgehende Naturreligion mit starker meditativer Prägung. Kam 552 von Korea her nach Japan und wurde zusammen mit dem Schinto zur bestimmenden Religion
[8] Levi, A.: Samurai from Outer Space;.; Seite 25
[9] ebenda
[10] Strömung im Buddhismus dessen Ethik den Normenkodex des Ritteradels (Samurai) beeinflußte
[11] OVA-Serie, Japan, 1988/89; Soieshinsha
[12] Kinofilm, Japan, 1987; MOVIC, Sony Video Soft
[13] Ursprünglich Schamanin, später junge Priesterin in Shinto-Schreinen
[14] OVA; Japan, 1991; Hosono, Futabasha
[15] Fünfzackiger Stern, der in einem Zug gezeichnet wird
[16] Siebenarmiger, jüdischer Kerzenleuchter
[17] OVA-Serie, Japan ,1991/92; Toei Video, Oz Co.
[18] Heute gebräuchliche Lesung der chinesischen Zeichen für "harakiri", dem rituellen Selbstmord. Wörtlich: "Aufschlitzen des Bauches"
[19] In Japan hochverehrte Selbstmordkommandos während des Zweiten Weltkriegs
[20] Alfred Hitchcock USA, 1960, Paramount



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